Es ist mittlerweile später Abend geworden.

Und ich schreibe, auf einem Bett liegend, das nicht meines ist.

In einem Raum, der mir so etwas wie eigene Wände verleiht.

In einem Haus, das nicht mir gehört.

In dem ich unfreiwilliger Gast geworden bin.

Und denke zurück. An diesem 1.Juni, der dein Geburtstag ist.

Aber auch für mich ein Geburts - Tag war.

 

Dein Papa und ich waren längst getrennt.

Und durch einen Zufall zu einer einzigen gemeinsamen Nacht 'gezwungen'.

Sicher sollte es so sein. Denn Zufälle sind gar keine.

Nur einmal waren sich deine Oma und dein Vater einig:

Das Kind war nicht geplant, hinderlich und sollte weg!

Ein Kliniktermin im Ausland wurde ausgemacht, der finanzielle Teil geregelt.

Mich hatte niemand gefragt! Ich packte ein Reisetasche. Traurig.

 

In der Nacht davor vermochte ich trotz Bemühungen nicht einzuschlafen.

Setzte mich irgendwann ans Gitterbett deiner Schwester.

Und sah dem kleinen Wesen zu. Wie es ruhte. Sicher und geborgen.

So wie der winzige Mensch in mir. Auch er war beschützt. Noch.

Bis zum Morgen hatte ich eine klare Entscheidung getroffen.

Verriegelte die Tür, stöpselte das Telefon aus und schrieb zwei Briefe.

Das Kind wird bleiben wo es ist! Bis es die Welt sehen will!

 

Es war ein einsamer Entschluss. Und viele einsame Monate folgten.

Für meinen Geburtstag war auch deiner errechnet.

Doch du ließest dir Zeit. Genau eine Woche lang.

So hattest du dein eigenes Datum. Und nicht das erwartete Geschlecht.

Aber das war gut und richtig so. Nun hatte ich ein Pärchen.

Eine Tochter und einen Sohn. Meine kleine Familie.

Wir hatten es nicht immer leicht. Aber wir hielten eng zusammen.

 

Manchmal sagte ich:

Mein Leben war nicht einfach, aber meine Kinder sind mein großes Glück!

Und das empfand ich auch so, aus vollstem Herzen.

Dann aber kamen Zeiten, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Niemals!

Neben so manchem Unglück in meinem Leben, war dies wohl das größte.

Nicht ungeschehen zu machen. Unauslöschlich eingebrannt.

Es ist nicht mehr wie es war. Und wird nie mehr sein wie es war.

 

Oft denke ich an diesen deinen letzten Besuch. Vor vier Jahren.

Du schliefst auf dem Sofa und ich schaute dir zu.

Nutzte diese so seltene Gelegenheit nach dem Kindergesicht zu suchen.

In diesem angespannten, fast verbitterten Zügen eines Erwachsenen.

Und strich dir ganz vorsichtig über's Haar, um dich zu berühren.

Ahnte ich ganz tief in mir drinnen, wie der Morgen verlaufen würde?

Wohl nicht. Sonst hätte ich Vorkehrungen getroffen. Aber ich tat's nicht.

 

So nahm seinen Lauf, was vielleicht (?) vom Schicksal dergestalt vorgesehen war.

Und in den Folgemonaten immer noch weitere Steigerungen erfuhr.

Du warst krank, sagte man mir später, nicht du selbst. Oder eben gerade das?

Mir blieb nur die Flucht. In die einzige Sicherheit die mir blieb.

Und doch nur eine scheinbare war. Ich bin beschützt.

Aber anders, als es zu ertragen wäre. Zu leben.

So wünschte ich mir in dunklen Tagen sehr krank zu werden. Und wurde es.

 

Wo die letzten vier Jahre geblieben sind, das vermag ich nicht zu sagen.

Vergangen. Verbracht. Von heute auf morgen verlebt.

Ohne Hoffnung. Ohne Tatendrang. Ohne Lachen.

Was aus dir geworden war, das wusste ich nicht. Drei Jahre lang.

Erfuhr es vor zwölf Monaten. In aller Tragik. Ich kann es nicht ablegen.

Es verfolgt mich. Polizei, Krankenwagen in der Straße ertrage ich nicht.

Lebst du? Wo? Mit wem? Ich ahne, aber frage nicht. Hoffe.

 

 

Die Liebe höret nimmer auf. Doch manchmal wird sie schwer geprüft.

Dass du wenigstens ein kleines Glück gefunden hast, das wünsche ich dir.

Dass es Hoffnungen geben mag. Pläne. Chancen.

Dass es Menschen gibt, die bei dir sind. Die dich lieben und halten.

Mehr kann ich nicht sagen. Mein Herz ist wund. Wird es bleiben.

Dein kleiner Bruder ist irgendwie nur noch ein Phantom. Du bist ein Schatten.

So seid ihr mir also beide verloren...

 

 

 

Am Morgen habe ich den ersten Schritt für eine große Veränderung getan

und einen Vertrag für einen Lagerraum unterschrieben.

Lange hatte ich gesucht. Mit mir gerungen, ob dies der richtige Weg wäre.

Aber es geht nicht anders. So packe ich nun also, räume das Haus.

Es ist nicht das, was ich wollte, jedenfalls nicht so. Aber es geht nicht anders.

Am Montag gehe (fahre) ich nach Hause. In der Hoffnung auf Kraft.

Einer wird mich nicht im Stich lassen. Darauf vertraue ich.