Monatelang habe ich kein Auto mehr selbst gefahren.

Ein irritierendes Gefühl. Zu lenken. Gas zu geben.

Wahltag. Für Europa. Meine Einladung gilt für Emden.

Der Weg führt am Deich entlang. Eine halbe Welt irgendwie.

Links endet sie mit dem Schutz gegen das Wasser.

Das Ende der vom Menschen zu betretenden Welt.

In Ostfriesland, wie an allen Küsten.

 

Vor mir, aber noch in der Ferne, liegt die angestrebte Stadt.

Kein Kirchturm zeichnet sich ab. Kein Laufkran des Hafens.

Nur Wiesen umgeben mich. Ab und zu von Schafen belebt.

Die Bauernhöfe wirken wie verlassen. Menschenleer.

Wie oft bin ich hier schon entlang gefahren? Wie lange?

1987 kam ich in die Region. Bereiste das Umfeld gründlich.

Deiche allüberall. Wiesen, Kühe und Wollträger auch.

 

Fast ein halbes Leben habe ich hier verbracht.

Nun kommt mir alles „eng“ vor.

Der Begriff vom „begrenzten Horizont“ kommt mir in den Sinn.

Drängt sich mir geradezu auf. Da alles um mich her flach ist.

Man nur bis zum nächsten Dorf schauen kann. Dem ersten Hof.

Bin ich denn anders, schaue ich über den Rand der Suppenschüssel?

Vielleicht. Da ich einiges von der Welt gesehen habe. Und doch nichts.

 

Nur wo du zu Fuss gegangen bist, dort bist du wirklich gewesen,“

so sagt ein uraltes Sprichwort.

So gesehen habe ich mir viele Regionen erwandert.

Bin Menschen begegnet. Habe sie in mein Herz geschlossen.

Oder sie in diesem mit mir getragen.

Vielleicht war es deshalb oft so schwer? Ist es noch, manchmal.

An Tagen wie heute. In der Erinnerung an 2015.

 

Alles was sich danach ereignete, war eine Folge dieses 26.Mai.

War es gut so? Traurig? Unvermeidbar? Vorherbestimmt?

Darauf werde ich wohl nie eine Antwort bekommen.

Vier zerstörte, sinnlos vergangene Jahre. Wie gelähmt.

Als hätte ich noch endlos Zeit zu verschwenden in meinem Alter...

Dabei kann das Leben verdammt kurz sein. Unberechenbar.

Was ist morgen? Wie wird die Welt sein in einem Jahrzehnt?

 

Erlebe ich das noch? Will ich es überhaupt?

Da ist er wieder, der begrenzte Horizont der Menschen.

Zuerst wähle ich. Staune über den ellenlangen Wahlzettel.

Habe ich das Kreuz an der richtigen Stelle gemacht?

Es entsprach meinem Gewissen. Für eine lebenswerte Zukunft.

Danach räume ich die letzten verbliebenen Pflanzen von der Terrasse ins Auto.

Das Haus stöhnt, als erahnte es sein Schicksal.

 

Jahrhunderte hat es überstanden. Menschen kommen und gehen sehen.

Von dieser Zeit bin ich nur ein Hauch, ein Windzug. Der es zutiefst liebte...