Krieg in Afghanistan. Krieg in Syrien. Krieg in der Ukraine. 

Es nimmt einfach kein Ende. Menschen werden verletzt, sterben, 

sind für den Rest ihres Lebens traumatisiert.


Zutiefst geschockt folgen meine Augen den Fernsehbildern, 

versuche ich all' das unfassbare Leid zu begreifen, 

das man wieder einmal Menschen zufügt.


"Den Russen darf man niemals trauen", 

sagte meine Mutter immer wieder in meinen Kindertagen. 

Und hörte damit nicht auf, als ich schon längst erwachsen war.


Ich wollte mir irgendwann die Ohren zuhalten, 

nichts mehr hören davon, als Nachkriegskind. 

Ich spielte in der Großstadt zwischen Ruinen, in verlassenen Lauben, 

fürchtete mich vor den Kriegsversehrten mit ihren hölzernen Rollwagen, 

den klackernden Krücken und leeren Hosenbeinen. 

So fern und doch nah, das alles...


Es hatte doch mit mir nichts zu tun, 

ich lebte doch in einer ganz anderen Zeit. 

Hatte ein eigenes Bett, saubere Kleidung, Schulbücher. 

Eltern. Eltern? 


Meine Mutter war seelisch krank, ewig in nervenärztlicher Behandlung 

und stand ständig unter dem Einfluss von Schlaftabletten.
Wollte sie mich deshalb nicht, als ich noch ungeboren war? 

Bestellte selbsternannte "Engelmacherinnen"...


Hat sie deshalb versucht mich zu ertränken, 

als ich ein Neugeborenes war? 

Mich schwer verletzt, um keinen "Klotz mehr am Bein" zu haben, 

wie sie mich oft bezeichnete?!


Vielleicht verstehe ich es jetzt erst so richtig. Heute. 

Was Krieg in Menschen auslöst, wie er sie destabilisiert, 

für den Rest ihres Lebens.


Erst gestern ist mir klar geworden, 

warum sie mit mir durch Süddeutschland zog. 

Mal lebten wir für Monate in Bayern, mal in Württemberg. Oder anderswo. 

Ich tourte mit ihr durch Städte, Dörfer und Schulen. Und Zimmer.


Sie war auf der Flucht ein Leben lang. Fühlte sich nirgendwo daheim, 

fand keinen Anschluss, suchte Glück auf Zeit, 

und beging am Ende Suizid in ihrer Einsamkeit, als letztem Ausweg.


Meine Schwester (1935 in Berlin geboren), war ein klassisches Kriegskind. Aufgewachsen mit Bombenalarm, Zerstörung und Tod. 

Mit ihr floh meine Mutter nach Polen, in eine vermeintliche Sicherheit mit Villa, Versorgung und Stille. Die Nazis waren die Herrscher, das Herrenvolk. 

Komisch. Alles Männer?


Eines Tages spielte meine Schwester an einem Brunnen vor dem Haus. 

Ein "Herr" in schwarzer Uniform fuhr von seinem Fahrer kutschiert vorbei. 

Er ließ anhalten und fragte das Kind: 

"Du bist doch bestimmt ein deutsches Mädel! 

Hat deine Mutter auch so schöne blonde Haare?"


Er gab ihr Schokolade und versprach am kommenden Tag wiederzukommen. 

So lernte er meine Mutter kennen. 

Was daraus wurde habe ich schon einmal erzählt. 

Eine Liebesbeziehung ergab sich, bis die Front ihre Richtung wechselte.
Der SS-Offizier brachte nun Mutter und Kind so weit es möglich war 

in die sicherere Gegenrichtung. Beide versprachen sich ewige Liebe. 

In Berlin wollte man sich wiedersehen.


Das Schicksal wollte es, dass meine Mutter das Kriegsende in Tirol erlebte, 

der geliebte Mann nach Sibirien in Kriegsgefangenschaft verschleppt wurde. 

Er war hochbegabt und beherrschte fließend 

die polnische und die russische Sprache. So überlebte er.


Als einer der Letzten kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück 

und suchte zuerst in Berlin, später im Ruhrgebiet, 

wo er meine inzwischen verheiratete Mutter heimlich wiedertraf.

Sie wurde schwanger. Mit mir.


Ich sollte/musste also "weg". Was nicht funktionierte. 

Ich kam also zur Welt. Weder blond noch blauäugig. 

Und wurde problemlos meinem "halbjüdischen" Vater untergeschoben. 


Die Ehe scheiterte. Die "Fluchten" begannen. 

Ein wie ich heute weiß "Asperkind" ohne festes Zuhause, Bezugspersonen, regelmäßigen Schulbesuch. Am Ende im Waisenhaus.


Ich wünschte mir ein Heim, einen Menschen zu dem ich gehörte und Kinder, 

die meine Familie waren. Mein alles. 

Den Partner habe ich nicht behalten können. Die Kinder auch nicht. 

Meine Mutter beging Suizid, um mich zu bestrafen.


Es ist vermutlich zu kurz gedacht, dass mit dem Krieg alles begann. 

Dass er der Anfang vom Ende war. Vom bitteren Ende meiner Mutter, 

meiner Schwester und meines sozialen, wie des biologischen Vaters.


Ein Schicksal, wie es wohl tausendfach verlief, verläuft.
Damals, wie jetzt. Auch ein Trauma ist ein Tod.

Es ist schwer die Sterne zu sehen, wenn man weint...


Ich lebe und bin nicht geflohen. Aber lebe ich wirklich???


Was wird aus den Kindern, die jetzt auf der Flucht sind??