Seit der Nacht sind die Geschwister nun gemeinsam zu einem Besuch an der ostfriesischen Küste eingetrof- fen: der Frost und der Schnee. Das hatte sich angekündigt, mit bitterkalten, sternklaren Nächten.

So ist es nun auch im Haus nicht lange still an einer Stelle auszuhalten, Bewegung angesagt. Und der win- zige Gaskocher vermag nichts auszurichten dagegen. Mehr als 7° habe ich nicht erreichen können seit ges- tern. Das fühlt sich kalt an. Sehr kalt. 

Besorgt wurden Verlängerungskabel verlegt und Mehrfachstecker gesucht: es galt, im Bad unter dem Dach rasch den Frostwächter zu installieren. Nie mehr will ich einen Schaden erleben müssen, wie damals, als oben die Rohre gesprengt und sämtliche vier Hausetagen überflutet wurden.

Nun bewache ich also beides: die offene Flamme des Kochers und die Hitze des Kältewächters. Innen be- steht das Haus fast nur aus Holz und Lehm mit Stroh, das betrifft Wände und Decken. Eine einzige Stich-flamme und alles würde lichterloh abbrennen, es gäbe sicher keine Rettung. Und keine Versicherung würde zahlen.

Es hilft nichts. Solche Zeiten gehören zum Winter, immerhin haben wir Ende Januar. So tröste ich mich mit Gedanken von Khalil Gibran, die (auch) vom Frühling erzählen...

 

 

Doch heute zu sein...

 

heißt, weise zu sein, wenn auch vertraut mit der Torheit

heißt, stark zu sein, aber nicht zum Schaden der Schwachen

heißt, mit den Kindern zu spielen, aber als Kameraden, die ihre Spiele lernen wollen

heißt, einfach und offen zu sein mit den Alten, mit ihnen im Schatten betagter Eichen zu sitzen,

auch wenn ihr noch im Frühling steht

heißt, einen Dichter zu suchen, auch wenn er hinter sieben Flüssen wohnt,

in seiner Gegenwart Frieden zu empfinden, nichts wollen, ohne Zweifel sein, ohne Frage auf den Lippen

 

heißt, der Schönheit zu folgen, auch wenn sie zum Rande des Abgrunds führt

und wenn sie Flügel hat, ihr aber ohne Flügel seid, ihr zu folgen, auch wenn sie über den Abgrund geht,

denn wo keine Schönheit ist, da gibt es nichts mehr

heißt, ein Garten zu sein ohne Mauern, ein Weinberg ohne Wächter,

eine Schatzkammer immer offen stehend für Besucher

 

heißt, ausgeraubt, betrogen, enttäuscht, ja sogar irregeführt, in die Falle geraten und verspottet zu sein,

trotz alledem aber herabzublicken von der Höhe eures größeren Selbst

und zu lächeln im Bewußtsein, dass es einen Frühling gibt,

der in euren Garten kommt, um in euren Blättern zu tanzen

und einen Herbst, der eure Trauben reifen lässt

 

heißt, zu wissen, dass ihr nur ein Fenster nach Osten öffnen müsst,

um niemals allein zu sein

und zu wissen, dass jene, die vielleicht für Räuber und Übeltäter gehalten werden,

eure Brüder sind, die ihr braucht, und dass ihr selbst all' das seid

in den Augen der seligen Bewohner der unsichtbaren Stadt jenseits von uns...

 

( Khalil Gibran, 1883 - 1931, eigentlich Djubran Chalil, Djabran, Djibran, christlich-libanesischer Dichter,                        Philosoph und Maler, emigrierte jung in die USA, sein Lebenswerk galt der Versöhnung der westl. und arab. Welt )

 

 

( 23.Januar 2015 )

 

Es wird mein letzter Winter hier im Haus sein. So oder so.

 

 

 

 

Morgen treffe ich absolut unerwartet und in einer fernen Stadt einen Mann, den ich sehr liebe.

Er hält alle Schlüssel in den Händen für meine / unsere Zukunft.

Möge Gott uns beschützen, wenn wir miteinander sprechen...