Auf meinem Weg bin ich unterwegs gen Westen, der untergehenden Sonne entgegen und damit mein Ge- löbnis erfüllend. Es ist nun mein 3.Camino, aber er hat so gänzlich anders begonnen. Sollte mit einer Freun- din ein ganz besonderer Weg werden. Was er auch ist, sechs Wochen später, als ich in Finisterre - am Ende der Welt stehe - und weinend viele Dinge verbrenne, die ich über Jahre gehütet, dicht an meinem Herzen getragen, nun über die vielen Kilometer ab Südfrankreich bis zur spanischen Atlantikküste gebracht hatte...

Wir erwachen früh im Kloster. Um sechs Uhr erklingen gregorianische Gesänge über die Lautsprecheran- lage, die jede Ecke beschallt. Mit stetig ansteigender Lautstärke. Spätestens eine halbe Stunde später hat auch der allerletzte Pilger es aufgegeben sich an die dünne Liegematratze zu klammen, die für diese Nacht ein wenn auch bescheidenes, so doch aber schützendes Nachtlager geboten hatte. Einhundert Pilger packen flüsternd, hustend, niesend, mit der leisen Frage: "Wie ist das Wetter?" Regnerisch, kalt, stürmisch. Es hilft nichts, um sieben Uhr sind wir draußen. Mit Rucksack und voller Mut gewappnet gegen alles das, was kom- men wird.

Die Etappe ist rascher zu Ende, als ich es mir je hätte vorstellen können. Regen, schwarzer Himmel und Blit- ze veranlassen, dass meine Freundin keinen einzigen Schritt mehr weitergehen, sondern in einem winzigen Dorf übernachten will. Was eigentlich unmöglich ist... Aber eine absolut entgeisterte spanische Putzfrau wird in einem privaten Hostal "überzeugt", dass sie uns aufnehmen "muss". Ein stylisches Dachzimmer wird uns angeboten. Deckenbalken, heißes Wasser. Welcher Segen! Doch danach wird es bitterkalt. Heizung und Spa- nien - das geht nicht zusammen...

 

 

Hinunter, nach Larrasoana, wird am nächsten Tag alles zu einer wahren Schlammschlacht. Ich rutsche vor- aus, kämpfe mich durch. Ermuntere. Wäsche waschen ist in der Herberge wegen des Dauerregens unmög- lich. Untere Betten haben wir laut unserer Nummern, bekommen sie aber nicht und jede Diskussion mit Spaniern verläuft absolut sinnfrei. Wieder eine Nacht in der wir frieren, uns schütteln vor Nässe und Kälte. Mit einer tollen Frau aus Gnarrenburg trinken wir viel Kaffee, sie beeindruckt mich sehr und ich wünsche mir, ich könnte länger mit ihr reden, was nicht geht, denn meine Freundin sitzt stumm und mit bitterbösem Blick neben mir...

 

 

Wir fliehen früh am Morgen gen Pamplona. 15 km, die fliege ich, mal eben so nebenbei, finde erleichtert die schöne, neue Herberge von vor 1,5 Jahren wieder. Tolle Betten, Superküche, alles top und mitten in dieser sehenswerten, alten Stadt gelegen. Meine Freundin packt sich ins Bett, während ich mich auf ihren Wunsch hin im Waschraum in die Warteschlange einreihe, mit einem Wäschekorb. Wie lange dauert ein Waschgang?  Je nach Temperatur. Super! Ich bin an 6. Stelle... Doch wie ich nun einmal gestrickt bin, gedulde ich mich. Stunde um Stunde vergeht. Mit den jungen Menschen aus den Warteschlangen um mich her freunde ich mich an. Ein Brasilianer holt seine Gitarre, wir sitzen auf dem Fliesenboden vor den dämlichen Geräten, sin- gen und lachen, trotz allem...

 

 

Am Abend bin ich endlich "durch". Ist meine Freundin ausgeschlafen. Na prima. Spätestens in diesem Mo- ment hätte ich... Wäre es angesagt gewesen, zu.... Müsste ich... Aber ich spüre zwar eine Trauer in mir, aber begreife nicht deren Ursache. Meine Rettung ist das Internet. Für einen Euro kann ich bloggen. Entdecke eine neue Blogfreundschaft. Huch? Wer ist der Mann im Hawaihemd, mit Cocktailglas, der mich auf seinem Foto freundlich anlächelt? Der getrennt lebende Ehemann meiner Freundin! Ich bin baff. Was sucht dieser Mensch bei mir? Hatte ich nicht mühevoll über Stunden für seine Frau ein neues Blog extra für diesen Weg eingerichtet?  "Sie trägt nichts ein", teilt er mir mit, "hingegen ist es äußerst interessant bei Dir zu lesen!" 

Hätte man mich nicht einweihen können? Wer bin ich denn? Mittel zum Zweck? Pausenclown? In Pamplona beginne ich das endlich zu verstehen. Ich hole meine Freundin aus dem Bett, zahle neu für's Internet, damit sie Foto und Nachricht abrufen kann. So ganz langsam beginne ich das Spiel zu begreifen... Lange suchen wir nach einem Lokal, wo es etwas Passendes zum Abendessen geben könnte, weil scheinbar so gar nichts passt, gut genug ist. Ich bin ein braves, geduldiges Schaf. Noch. Aber in mir wächst etwas...

Mehr und mehr erreichen wir Orte, die mich an frühere Weggefährten erinnern, mit denen ich damals lach- te, Spaß hatte.  Was zum Jakobsweg gehört, wie alle Qual, die Schmerzen, Zweifel. "Kalt" steht bei jedem Eintrag im Tagebuch, "kalte Küche", "kalter Wind", "kaltes Zimmer".  Über Viana erreichen wir Logrono. In Viana hatte ich mich 2 Jahre zuvor so schmerzhaft erinnert, an Jasper, meinen jüngsten Sohn. In der Kirche bin ich allein. Dann ziehe wir weiter in die so schöne spanische Stadt, in der ich zwei Jahre zuvor zum Leben erwachte. "Die Leichtigkeit des Seins, hier und heute habe ich sie gefunden", simste ich damals den Kin- dern, den Tönen eines Saxophons bei einem leichten Sommerregen lauschend.  Nun bin ich wieder allein un- terwegs. Der letzte Eintrag im schmalen Tagebuch für diesen Tag lautet: "27°, Zeit, um die Seele baumeln zu lassen..."

 

 

Das Ende des gemeinsamen Weges steht kurz bevor. War es je einer? Ich bezweifle das jetzt.

Aber es wäre heute nicht, wäre es damals nicht gewesen, wie es eben war. Lehrreich...

3 Wochen später sitze ich an meinem Geburtstag in Cacabelos am PC. Lese unglaubliches...