Auf der Holztreppe sitze ich, angelehnt an die Wand zum Nachbarhaus.

Weil nur hier der Internet-Empfang von „sehr niedrig“ auf „niedrig“ umtaktet.

Lache über die Situation. Internet 2019. Im Haus von 1565.

Wie mag es hier in 500 Jahren zugehen?

Ach, da existiert die Welt, wie wir sie kennen, ja längst nicht mehr.

Vernichtet von jenen Lebewesen, denen sie dereinst anvertraut wurde...

 

Vor fast zehn Jahren war die Situation fast ähnlich. Ich kehrte zurück.

Aus meiner winzigen Wohnung in der Nordheide. Nach einem Jahrzehnt Leerstand hier.

War ein anderer Mensch geworden, mit Rucksack mutig unterwegs in der Welt.

Bloggte. Fühlte mich verbunden mit den Freunden „da draußen“.

Würde der Provider-Wechsel klappen? Aufgeregt rief ich alle Daten auf.

Und sie waren da. Jene Menschen, die mir längst zu Freunden geworden waren...

 

Damals ahnte ich nicht einmal, dass ich Asperger Autistin sein könnte.

Dieses und jenes hatte ich inzwischen über mich herausgefunden. Aber DAS?

Jahre vergingen. Bis ein Freund es mir auf der Straße sagte: „Du bist es auch!“

Glaubt niemand sofort. Einfach so. Autistisch?? Ich?? Ich las. Nächtelang.

Es passte urplötzlich alles. Wie die Lieblingskuscheljacke. Der Lieblingsmensch.

Ich war nicht allein. Andere mit dieser Besonderheit fanden sich. Auch Freunde.

 

Ach so? Deshalb? Waren sie mir fern und doch so nah'. Ich verstand. Sie auch.

Schlaue Bücher“ las ich. Erkannte mich wieder. Lachend. Weinend. So bin ich also!

Türen öffneten sich, wo andere sich schlossen. Nun besaß ich einen Schlüssel.

Um Pforten zu öffnen. Zu verstehen, warum manche offen standen, schon lange.

Das half mir zu vertrauen. Dass alles sein Ziel erreichen würde.

Jenes, das für mich vorgesehen war. Vielleicht seit Urzeiten.

 

Warum hatte ich meinen Bergunfall in der Sierra Nevada überlebt?

War in der Sierra Nevada von der Guardia Civil gefunden worden?

Auf einer seltenen Kontrollfahrt. Warum brachte mir ein Freund Krücken nach Granada?

Lernte ich 1000 km später einen Menschen kennen, der mir ein Engel wurde?

War ich nicht oft beschützt? Schon vor meiner Geburt? Da ich doch sterben sollte.

Alles hat seinen tieferen Sinn. Der Augenblick des Todes war noch nicht da...

 

Jetzt auch noch nicht? Scheinbar ist es so. I'm alive. Immer noch.

Sitze auf eben jenen Holzstufen, wie ein Jahrzehnt zuvor. Habe überlebt.

Bis heute. Bis jetzt. Wieder einmal? Immer noch?

Jubelschreie sind nicht erfolgt. Ich weine. Vielleicht eben gerade, weil ich lebe.

Anders wollte ich es. Weil ich dachte es sei der einzige Ausweg.

Ach wirklich?“ hat das Schicksal mich offensichtlich gefragt. Was kommt noch??

 

Auf dem Rückweg von Istanbul über Hamburg durfte ich sie in den Armen halten.

Tochter und Enkel. Die mir allerliebsten, wundervollsten Menschen auf der Welt.

Gäbe es mich nicht, würden auch sie nicht existieren.

Wenn mein Dasein überhaupt einen Sinn hatte, dann sind sie es!!

Allein für sie hat es sich gelohnt alles auszuhalten. Alles!

Über meine Söhne schweige ich. Trage bitter an der Last ihres Verschwindens...

 

Nun also packe ich. Mein Lebens - Sammelsurium zusammen. In Kartons. Mülltüten.

Ein Mietlager wartet auf Füllung, Entscheidung. Räume. Wände. Kein Zuhause.

Das habe ich hier. Noch. Fühle mich nicht allein. Neben mir ist jemand. War es immer.

Lächerlich klingt das vielleicht. Nach Spinnerei. Macht nichts. Was soll's?!

Er war's, warum ich vor dreißig Jahren das Haus als Ruine erwarb. Er war schon da.

Erwartete mich. Wir waren damals die 115. Besichtigung. Ich kaufte. Logisch.

 

Wer kommt nach mir? Irgendwo lebt er schon. Ahnt er etwas, sucht nach dem Haus?

Wenn er hier war und seinem Schicksal begegnet, dann werde ich frei sein.

Habe mein früheres Leben sortiert. Kann mich auf meinen Weg machen.

Jenen, den ich einst zu gehen versprach. Ein allerletztes Mal.

Alle, denen ich auf diesem Camino begegnen werde, die leben auch schon.

Es wird ein letztes großes Abenteuer. Und sollte genau so sein, wie es eben kommen wird...