Es gibt solche Tage. Jene, die das Leben feiern. Und ganz andere.

Wenn du aufwachst ist manchmal alles offen. Oder nichts.


Meine Situation spitzt sich jeden Tag mehr zu.

Niemand wird kommen, mich daraus zu befreien. So ist es nun mal, das Leben.


Was mir hilft ist ein "seltsames" Buch, anders kann ich es nicht bezeichnen.

Schwierig zu lesen, manchmal mehr als kompliziert. Es reizt mich gerade deshalb.


"Wolkenkuckucksland" lautet der Titel. 

Und erzählt z.B. von Menschen, die sich in Eulen verwandeln und fliegen können.

Anderen, die wegen ihrer Merkmale schwer einen Platz in der Gesellschaft finden.

Hoffenden, die in einer Raumsonde unterwegs zu einer fernen, neuen Welt sind.

Träumenden. Handelnden. Guten. Bösen. 

Wechselnd zwischen vielen Personen. Und mehreren Jahrhunderten.

Es bleibt nur Achtsamkeit. Um ständig neu einzuordnen.

Und zu verstehen, um was es im Grunde geht.


"Er hätte seine Liebe gestehen sollen. Im Lager Fünf. In London.

Und jeder Frau im Valley County, mit der ein erbärmliches Rendezvous hatte.

Er hätte mehr riskieren sollen. Sein ganzes Leben hat er dazu gebraucht,

um sich zu akzeptieren, wie er ist, und es überrascht ihn, dass er jetzt, da er es kann, sich kein einziges weiteres Jahr mehr wünscht, es sind Jahre genug.

In einem Leben sammelst du so viele Erinnerungen, sichtest sie immer wieder, 

wägst Folgen ab, verdrängst Schmerzen, und trotzdem, 

wenn du so ein Alter erreichst, schleppst du eine unglaubliche Menge mit dir herum,

eine Last, so schwer wie ein Kontinent, und irgendwann wird es Zeit,

sie aus dieser Welt zu tragen. Und nach Hause zu gehen..."


Zitat-Ende 

Autor: Anthony Doerr



Ich war so berührt, dass ich das Buch weglegte.

Nachdenkend, warum ich so im Herzen getroffen war.


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Heute war wieder "Emden-Tag" und ich sogar irgendwie froh darüber.

Zu schwer jeder Tag hier im Moorland, im kleinen Zimmer unter dem Dach.

Ich räumte noch Zettel auf dem kleinen Tisch zusammen.

Nicht alles an Gedankennotizen war für die Öffentlichkeit bestimmt.




Auf einem stand:


"Du kannst nicht wählen, wie du stirbst, oder wann.

Aber du kannst bestimmen wie du lebst. Jetzt!"

Joan Baez




Mit dem Gedanken daran fahre ich am Deich entlang gen Emden.

Die Sonne hat sich verzogen, aber weiße Wattewolken sind noch da.

Die Welt kann so friedlich sein.

Meine geliebten Schafe grasen entspannt auf der linken Seite.

Rechts die so typischen schwarzweißen Kühe.

Und auf den nächsten Wiesen sitzen ruhende Ringelgänse.

Nirgends Streit. Oder Chaos. Es ist still. Wie gut tut das meiner Seele...


Am Haus liegen Berge von Herbstblättern auf dem Bürgersteig.

Mehr als eine Stunde lang fege ich, fülle Säcke. Schleppe.

Ein junger Mann geht zu seinem Auto, lädt etwas ein.

Wir kommen ins Gespräch. So ein strahlendes Lächeln.

Selbst die Augen schmunzeln. Ich denke an meinen Sohn.

"Bist du Arne?" frage ich. Und er nickt eifrig.


Es war wohl die Nacht und der Morgen. Das Gelesene. Und Verinnerlichte.

"Ihr wolltet doch das Haus kaufen! Möchtest du dir die unteren Etagen ansehen?"

Er ist total verblüfft und folgt mir. 

"Wow, was für eine Halle, ist ja unglaublich. Noch viel schöner als gedacht!"

Er schaut sich das frühere Lädchen an, die uralten hohen Glas-Sprossentüren.

"Wahnsinn, das ist ja alles noch original und toll aufgearbeitet!"

Wir klettern die Stufen zur Zwischenetage hinauf. "Unglaublich!"

Er schaut sich die Küche an, die ich mit Herzblut renoviert habe. "Superschön!" 

Draußen ruft jemand: "Arne?"


Es ist seine Frau. Jene Maklerin, die ich nie ins Haus lassen wollte. Aber nun.

"Mensch, wie toll ist das denn!" 

Ich entschuldige mich für unfertiges, aber keiner hört hin.

"Was sind denn das für geile Fliesen?" "Aus den Niederlanden, lange gesucht..."

"Ist das ein Holzboden? Eine Holzküche? Sind das originale Deckenbalken?"

Wir reden zwei Stunden lang. Und ich erzähle wie es ist. Und war.

Ohne zu beschönigen. Ohne wegzulassen. Ohne hinzuzufügen.

"Du musst da raus, aber schnell, du hast hier ein tolles Haus, was machst du dort?"


Irgendwie sind wir alle aufgeregt.

Ich wegen meines unerwarteten Mutes. Meine Gäste wegen der unverhofften Chance.


Jetzt!




"Fürchten muss man sich nur vor der eigenen Angst."

Alexey Nawalny