Man sollte entspannt sein. Gelassen. Wenn man auf dem Weg in den Urlaub ist. Ich bin es aber nicht, ganz das Gegenteil ist der Fall. Zu vieles belastet mich. Das ich mitnehme, was in meinem Kopf kreist, im wahrsten Sinne des Wortes unvollendet ist. Dazu erwartet mich eine verwirrend große Stadt mit einer Unzahl von quirligen Menschen. Haben wir / habe ich einen Fehler gemacht? Hätten wir nicht besser „nach Hause“, nach Porto, fliegen sollen? Wo alles so vertraut ist und mir das Gefühl von Sicherheit gibt?

 

Zu spät. Die Würfel sind gefallen, Lissabon ist das Ziel und wird auch ein Traumziel werden. Hoffe ich. Oder rede es mir ein? Es dauert noch, bis ich die Antwort kenne. Nächtens wird die Maschine über der portugiesischen Hauptstadt zur Landung ansetzen. Was wird man dann sehen, außer einem Lichtermeer und dem breiten Strom Tejo? Neben meinen Überlegungen schaue ich auf den gedruckten Fahrtbegleiter. Nächste Station wird sein... in wie vielen Minuten... Rechnen, ob alles klappt. Zehn Minuten Verspätung haben wir schon, aber noch ist der Anschluss in Bremen nicht gefährdet. Noch...

 

Hude. Ein „Nest“ irgendwo im Nichts vor Oldenburg. Nicht der Rede wert. Und keines Gedanken. Eigentlich. Wir warten, dass der Zug sich nach dem Zwischenhalt wieder in Bewegung setzt, vielleicht sogar die verlorenen Minuten aufholt. Aber nichts geschieht. Stillstand. Irgend- wann (nach langen Minuten) eine Durchsage: „Sehr geehrte Fahrgäste, wir müssen ihnen leider eine unangenehme Mitteilung machen!“ Da bin ich sofort hellwach. Lok kaputt? Ein Unfall auf der Strecke? Was dann?

 

Aber ich liege mit meinen Tipps daneben, wenn auch nicht komplett. Die Stimme setzt fort: „Wegen eines Bombenalarms im Hauptbahnhof von Delmenhorst, kann der Zug seine Fahrt auf unbestimmte Zeit nicht fortsetzen und wird vor Ort stehenbleiben, wir bitten um ihr Verständ- nis!“ Irgendwie sitzen alles da, als wäre nichts passiert, während ich innerlich ausflippe. Was kann / wird „unbestimmte“ Zeit bedeuten? Für uns bedeuten? Wenn wir den Flughafen nicht rechtzeitig erreichen, ist der Urlaub geplatzt, mit allen Kosten. Nach meiner „Zeitliste“ er- rechne ich den Spielraum den wir haben. Und entscheide. „Hast du die Durchsage verstanden? Und begriffen was das bedeuten kann? Wir müssen hier sofort raus! Nur gut, dass man uns in Hude angehalten hat und nicht auf freier Strecke! Warum sitzen denn alle da, als hätten sie gar nicht realisiert was los ist?“

 

Reaktion: Zunächst keine. Dann allerdings von der Bank hinter „dem Großen“. Eine Frau springt auf: „Werden sie ein Taxi nehmen?“ Ich nicke. Es wird uns nichts sonst übrigbleiben. Sie greift nach ihren Sa- chen: „Da bin ich dabei!“ Nun springen auch andere hoch. „Gute Idee, wir machen mit!“ Mein Held versteht gar nicht so recht was los ist, greift aber durch meinen Alarm nach seinem Trolley und lässt seine geliebte Mütze vom Caminho Portugues in der Aufregung liegen.

 

Wie von Höllenhunden gejagt renne ich durch den Tunnel unter dem Bahnhof. Die „City“ ist wo, auf welcher Seite? Da müssen doch Taxen stehen? Hoffentlich waren nicht andere Fahrgäste schneller! Scan- nender Blick nachdem die Oberwelt erreicht ist. Kein Taxenplatz! Ei- gentlich fast überhaupt nichts Nennenswertes. Entscheidung: der nächste Laden wird ein Telefon haben mit Buch. Oder sogar Rufnum- mern kennen. So ist es auch! Anruf: „Bitte ein Sammeltaxi zum Bahn- hof, schnellstmöglich, wir stehen da und da!“ Draußen gesellt sich noch ein junger Mann dazu. „Ich fahre auch mit!“ Acht mehr oder weniger aufgeregte Menschen schauen in alle Richtungen. „Meine Maschine muss ich erreichen, ich fliege doch bald!“ Ein Mädel ist der Verzweif- lung nahe. Unterschied zwischen ihr und uns: Sie will „nur“ nach Bremen. Wir hingegen müssen weiter nach Hamburg Und dort erneut umsteigen...

 

Auf der anderen Straßenseite wartet auch eine Menschentraube. Aller- dings etwas unkoordiniert, wie mir scheint. Sprecher sind zwei ziem- lich seltsame Gestalten. Männer in Frauenkleidung. Nun mag man mir bitte keine entsprechenden Vorurteile ankreiden. Normalerweise ist mir so was egal, da halte ich es mit dem „Alten Fritz“, jeder solle nach seiner Fasson glücklich werden. Wer nun welche Klamotten trägt und sich als was auch immer fühlt und mit wem auch immer als Partner zusammen ist: Das ist seine ganz eigene Entscheidung!

 

In diesem Fall bin ich aber zugegebenermaßen mehr als leicht irritiert. Man stelle sich bitte das Bild vor: Zwei Endfünfziger mit ausladenden Maßen in Höhe und Breite tragen feminine Kleidung mit Ausschnitt, stöckeln in hochhackigen Schuhen Gr.45 wie aufgescheuchte Hühner hin und her , haben die typischen Männerglatzen (Hubschrauberlan-deplatz) aber den verbliebenen spärlichen Haarkranz bis auf Brust- länge wachsen lassen. Aus den Stimmen mit weiblichem Touch werden mehr und mehr explodierende Kerlsorgane. Welch' eine Show und wenn ich nicht so angespannt gewesen wäre, dann hätte ich sicher geschmunzelt! Aber mein Verstand warnt mich, was eintreten könnte...

 

Es regnet mittlerweile in Strömen, wir können „unseren“ Zug auf dem Gleis unverrückbar stehen sehen und hören ab und zu die Durchsage: „Strecke auf unbestimmte Zeit weiterhin gesperrt!“ Aus der Gegen-richtung kommt natürlich auch nichts und Twitter verrät, dass die Bahnen inzwischen auf freier Strecke angehalten werden. Na prima! Auf den Bahnhof ist mittlerweile Bewegung gekommen, immer mehr Menschen bevölkern ihn jetzt. Und wollen nur eines: „Weg!“ Wie egois- tisch manche dabei sind, zeigt sich bald. Wo auch immer unser Groß- raumtaxi herkommt: es hat dafür fast eine halbe Stunde Anreise ge- braucht. Egal, nichts wie rein!“ Wenn denn nicht die von den Damen, äh Herren (?) angeführte Gruppe laut brüllend über die Straße käme. Sie erheben gestikulierend und mit wenig mädchenhaften Worten Anspruch auf den Wagen. Den hätte SIE bestellt, den wollten sie, wir hätten sofort „abzuhauen“.

 

Denkste! Ich bin auf die Idee gekommen, ich sitze als Erste ganz hinten links drin und da bleib' ich auch sitzen, aber garantiert, da kriegten mich keine zehn Pferde mehr raus, schon gar zwei solche Tucken mit Pseudomähne. Ich entscheide spontan im Notfall körperliche Gewalt anzuwenden und um mich zu schlagen, sozusagen von Frau zu Frau – mal sehen, wer da gewinnt (ich bin Sternzeichen – Aszendent LÖWE und ab und zu bricht das durch)!

 

Es folgen ellenlange Diskussionen (der Taxifahrer gehört auch nicht zu den hellsten Leuchten) und ständig wogt es hin und her. Vor allem ein ausländischer Junge mit Rastas bekommt es ab, steigt mehrfach ein und wieder aus, samt Koffer hinten rein, wieder hinaus, erneut rein. Er ist leise, bescheiden und freundlich. Tut mir unendlich leid. Warum zeigt Deutschland so oft eine hässliche Fratze? Wir unterhalten uns. Sei er gewohnt, sagt er lächelnd in englischer Sprache. Aber in seinen dunklen Augen spiegelt sich ein anderes Gefühl...

 

Noch lange geht es hin und her. Dieses Fahrzeug war auf unseren Na- men geordert. Für acht Leute und das sind wir. Also was soll das Gan- ze? Endlich besteht Einigung, der Koffer des Jungen landet erneut im Gepäckraum, der Fahrer steigt unter bösen Beschimpfungen der Möch- tegerndamen ein. Nächstes Thema: Was kostet der Spaß? Wohin soll es eigentlich gehen? Jeder hat ein anderes Ziel.Unauffällig lenke ich in die richtige Richtung: Ab Hauptbahnhof Bremen kommen wir alle irgend- wie weiter! Unterwegs jammert das Mädel noch, welches zum Flugha- fen wollte. Wir toppen mit dem Ziel Hamburg, da kehrt dann Ruhe ein.

 

Die Regentropfen prasseln aufs Autodach, die Autobahn ist verstopft, wir rollen größtenteils im Schritttempo und unterhalten uns gemütlich. Fehlen nur noch Kekse. Und Kaffeekannen. Ich rechne still vor mich hin. „Unseren“ Zug können wir mittlerweile nicht mehr erreichen, aber mit dem nächsten sollte es klappen. Vorsichtshalber rege ich an schon mal das Fahrgeld einzusammeln, was auch passiert. Am Bahnhof stür- zen wir hinaus, unser Gepäck hatten wir ja griffbereit auf dem Schoß. „Danke für die angenehme Gesellschaft“, rufe ich noch fröhlich und winke, während ich losrenne. Der Große hinterher, er fragte noch Leute wo der Hbf denn wäre, aber ich habe den Eingang längst erspäht.

 

Bei allen „Immo-Besichtigungstouren“ hatte ich hier hin und rück je- weils ca. eine Stunde Aufenthalt. Das bleibt in Erinnerung! Ich hechte durch die Halle (natürlich ist der Bahnsteig am anderen Ende), die Treppen hinauf und entere einen Waggon. Bis ich merke: Diesen Zug dürfen wir gar nicht benutzen, da unser Niedersachsenticket nur Bummelzüge erlaubt. Mist! Der Held spricht mutig einen Bahnbe- amten an, dem wir unsere Story erzählen. Er hört mitleidig zu, ist ein großer Spanienliebhaber und versteht, dass wir nach Portugal wollen, voll und ganz. Er rennt mit uns am Zug entlang, sucht eine Schaffnerin. Endlich findet er eine, textet sie zu. Sie zeigt auf einen Wagen: „Aber nur da!“ Total überfüllt das Ding, aber uns ist es egal, als wir spüren wie die Räder rollen. Gott sei Dank, im wahrsten Sinne des Wortes!!!

 

 

Wahrhaft „bomb“astisch hat unser Urlaub angefangen.

Mit einem Knall wird er enden. Was liegt dazwischen?