Professor Kilians phantastische Reisen




Kapitel 1


Das Inserat




Manchmal stürmt und regnet es an der Küste den ganzen Tag lang. Wer kann, der vermeidet jeglichen Schritt nach draußen, bleibt lieber warm und trocken daheim. Obwohl wir Ostfriesen wetterfest seien, das sagt jedenfalls der Volksmund. Und Sturm herrsche ohnehin nur, wenn die Schafe keine Locken mehr hätten...

Letzteres konnte ich nicht beurteilen, da mein Haus in der Emder Innen-nenstadt steht und die Wollträger sich üblicherweise auf den schützen-den Deichen der Ems und des Dollarts aufhalten. So heißen hier unsere Hauptwasserwege, über die sich Schiffe und Fähren hinaus auf die Nord-see bewegen. Oder umgekehrt hinein in den See- oder auch den Stadt-hafen, der bei uns schlicht Delft genannt wird, was so viel wie "vertieft, Vertiefung" heißt.

Draußen liegen viele Segler und Kajütboote, die bald wieder aufbrechen wollen, im Binnenhafen jene, die für ein paar Tage, oder auch länger verbleiben möchten. Besonders beliebt bei den verschiedenen Stadt-festen, wie z.B. den Emder Matjestagendie im Sommer veranstaltet und besonders gern von den Urlaubern besucht werden.

Auch viele sogenannte Plattbodenschiffe aus den nahen Niederlanden liegen oft hier vor Anker. Sie sind ziemlich breit, lang und rustikal ge-zimmert aus dickem Holz. Offenbar lässt es sich wunderbar gemütlich auf ihnen wohnen (manchmal auch leben) und bequem von Liegeplatz zu Liegeplatz, oder auch durch die flache Landschaft schippern. Mit Hund, Katze und manchmal auch beidem. Dazu Pott und Pann, denn na-türlich kocht man selbst, da weiß man was man hat und viel billiger als im eigenen Land soll es in deutschen Läden zudem sein.

Umgekehrt trifft man in Winschoten, der ersten Kleinstadt hinter der deutsch-holländischen Grenze, an Frei- Sams- und Feiertagen mehr Deutsche als Einheimische an. Denn da bieten Wochen- und Fischmärkte kulinarisches in reicher Auswahl feil. Und das kopje koffie schmeckt nach stundenlanger Schlenderei mit vollen Körben, Tüten und Taschen auch erg lekker, wie der Niederländer zu sagen pflegt.

Außerdem sei dort alles preislich viel günstiger als auf deutscher Seite, das sagen jedenfalls die Emder (nein, wir heißen nicht "Emdener"). Auf jeden Fall aber verbinden die gegenseitigen Besuche beide Länder, die nicht immer so friedlich nebeneinander leben konnten. Einige Jahrzehn-te ist das her und hoffentlich kommen solch' furchtbare Zeiten niemals wieder!

Statt eines Bechers Kaffee steht bei mir nun eine Porzellankanne mit Stövchen und warm haltendem Teelicht auf den Tisch. Und natürlich ist Emder THIELE -Tee aufgegossen, mit einer Portion Sahne und einem dicken Kluntje dazu, der mir den Schwarztee versüßen wird. Zudem erfreut das ostfriesische Rosenmuster des dünnwandigen Geschirrs das Auge. Was will man mehr, an einem gemütlichen Feierabend?!

Der neue, aus alten Holzteilen upgecycelte Tisch hat heute - gerade fer-tiggestellt - meine kleine Holzwerkstatt unter dem Dach verlassen und ist zwei Etagen tiefer in die Küche gewandert, an seinen vorgesehenen Stellplatz. Nun wird er quasi festlich eingeweiht. Auf der hölzernen Fensterbank des hohen Sprossenfensters liegt noch die Tageszeitung, für die sich bisher keine Zeit gefunden hatte.

Zu lesen findet sich erfahrungsgemäß darin nicht ausgesprochen viel, aber informiert möchte man natürlich trotzdem sein! Außerdem steht manchmal doch etwas darin was wichtig ist, oder es werden könnte. Zumal Ostfriesen drei Sprachen sprechen: Plattdeutsch, Hochdeutsch und vor allem „über andere Leute“. Dazu braucht man aber Themen, über die man reden könnte, die muss man allerdings erst einmal ent-decken! Und so scheint es an diesem Abend zu sein. Auf der allerletzten Seite zieht ein großes, schwarz eingerahmtes Inserat meinen Blick sofort wie magisch an. 


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Ach, hätte ich nur einen winzigen Bruchteil dessen geahnt, 

was hinter "Professor Kilians Reisen" wirklich steckte - 

ich hätte mich niemals beworben! 

Aber wahrscheinlich sollte alles genau so sein, wie es am Ende kam...