Zwei Tage nach meinem Geburtstag sitze ich im Zug gen Bremen.

Um dort einen geliebten Menschen zu treffen.

Angespannt bin ich. Wenn auch voller Vorfreude.

Als ahnte ich schon alles, mit jeder Faser meiner Seele.

Ein Sonntag im allerwahrsten Sinne des Wortes - wie schön!

Wir treffen uns vor dem Bahnhof - ach, es ist unbeschreiblich...

Irgendwo an der Weser ein Restaurant mit Upcyclingmöbeln.

Es sind die wenigen unbeschwerten Minuten, die uns bleiben werden.

Von EINEM Thema, EINEM Namen will ich nichts hören.

Das sage ich sofort. Und habe schon verloren.

Fassungslose Stunden folgen. Reden. Weinen. Zorn. Schmerz.

Beiderseitige Verzweiflung. Die Zeit fliegt nur so dahin.

Wie kurz kann sie sein, wenn wir sie festhalten möchten...

 

Und wie weit der Bahnhof entfernt, wenn man zu ihm rennt.

Ein rascher Kuss, eine letzte Berührung, ein trauriger Abschiedsblick.

Für wie lange dieses Mal??

Mein Zug wäre längst fort, aber seine Türen schließen nicht.

Seltsam, wo gerade in meinem Leben eine krachend zugefallen ist...

Dann rollen die Waggons an und ich schließe die Augen.

Spüre all' den Worten nach, den furchtbaren erfahrenen Wahrheiten.

Zähle jede Minute, bis ich aussteigen kann. Privat bin. Weinen darf.

Auf dem Bahnsteig erwartet werde und gehalten.

Um wieder Boden unter die Füße zu bekommen...

Aber es ist niemand da. Die wenigen Passagiere verlaufen sich.

Was nicht sein darf ist nun eingetreten.

 

Der Verstand besiegt das Gefühl. Was jetzt?

Busse fahren so spät nicht mehr zu "meinem" Dorf.

Taxen stehen keine da. Der ganze Vorplatz ist wie ausgestorben.

Also bleibt nur zu laufen! Wie weit ist es? Zwei Stunden bestimmt.

So renne ich fast los. Fort aus der City.

Die Nacht ist warm, fast heiß, überall plötzlich Männergruppen.

Betrunkene. Seltsame Gestalten. Nur weg. In die Dunkelheit.

Ungefähr erahne ich die Richtung. Schilder kann ich nicht erhoffen.

Ab und zu eine Laterne. Bis der Stadtrand erreicht ist.

Plötzlich umfängt mich Schwärze. Wo sie doch schon mein Herz erfüllt.

Bin ich richtig? Durst. Hunger. Angst. Stolpern. Fallen. Aufstehen.

Ach, bitte leite mich "heim". Obwohl ich dort nicht hingehöre.

 

Jedes Auto der Landstraße bringt einen Lichtstrahl.

Dann kommen keine mehr. Nur Leitplanken geben Anhaltspunkte.

Ob ich über den Friedhofszaun klettere? Dort müsste es doch Bänke geben?

Unsinn. Lauf' weiter! Wieder gestolpert. Aber da war Gras, alles gut.

Links ein weitläufiger Pferdehof mit Mauer. Schon mal gesehen.

Die Richtung stimmt. Noch. Kurven. Geraden. Brücken.

Da  ist es immer etwas heller. Kommt ein Auto bücke ich mich.

Ohne es zu realisieren bin ich in großer Anspannung.

Habe Angst. Wovor?

 

Es ist rabenschwarze Nacht, ich kann nicht genau verorten wo ich bin.

Schiebe die traumatischen Informationen auf ein Nebengleis.

Einsame Bauernhöfe. Kläffende Hunde. Landstraßen.

Ab und zu ein Bushäuschen. Hinsetzen? Nur für einen Moment?

Meine Krankheit raubt mir Kraft. Aber jammern hilft nicht.

Ein Ortsschild. Sagt mir nichts. Ich bete. "Lass mich nicht irren!"

Inzwischen gewittert es am Horizont. Lässt ihn dunkelrot erglühen.

Dann wieder reißt der Himmel auf. Gibt kurz einen umwölkten Vollmond frei.

Das hilft mir den Untergrund zu erkennen.

An einem verwaisten Einkaufcenter glaube ich richtig zu sein.

Dann wieder nicht. Hauptsache bewegen. Acht Kilometer sind bewältigt.

 

Nach weiteren drei erkenne ich Straßen. Den Dorfladen.

Renne fast auf das ersehnte Ziel zu. Stürze hinein.

Und Unmengen kalten Wassers aus dem Kran hinunter.

Der Große kommt von oben aus seinem Bett in die Küche getappt.

"Wo warst du?? Du solltest mich doch abholen!!"

Der Zug kam nicht. Klar. Da ist er gegangen. Gar nicht klar!

Macht mich sprachlos. Wütend. Ich kann nicht sagen was.

Erst in meinem kleinen Zimmer weine ich. Kann kaum aufhören.

Am Morgen schaue ich in den Spiegel.

Eine alte Frau blickt zurück.

 

Man kann über Nacht ein Jahrzehnt älter werden.

Während gleichzeitig die Zeit stehen geblieben ist.