Müde schaut die Sonne durchs kleine Sprossenfenster, als brächte sie ihre ganze Kraft dafür auf. In Porto am Kai scheint sie dagegen strahlend, das zeigt mir die täglich aufgerufene Webcam. Welche Sehnsucht habe ich doch nach der Wärme, dem hellen Licht, dem Fluss der Träume und tosenden Atlantik an seiner Mündung! Ach, wäre ich doch dort...

 

Ähnlich habe ich wohl in Lissabon gedacht, als wir schier unter-gingen in der Masse der Menschen, die Reisebusse in unaufhör-licher Abfolge zu den schon vorhandenen Touristen aufs Pflaster ausspien. Waren wir denn so anders? Jedenfalls fühlte ich mich fremd, war irritiert, fehl am Platz. Belém heißt dieser schöne Vor- ort Lissabons, was „Bethlehem“ bedeutet. Zu dieser Assoziation fehlten allerdings alle Voraussetzungen! Die Menge schob uns wie in einem gemeinsamen Brei zum „Torre de Belém“ einem im Grunde recht hübschen Verteidigungsturm, der manchen Fein- den, welche die Tejo-Mündung herauf kamen, wohl als niedli- ches Schlösschen vorkam, ehe sie die Verteidigungsfunktion des Bauwerks erkannten.

 

Gern hätte ich hier fotografiert, aber ich verweigerte mich der Situation, geschubst, bedrängt, belästigt von den zahllosen Händ- lern mit ihrem aufdringlichen: „Selfie-Stick? Selfie-Stick?“ Por- tugal ist eines der ärmsten Länder Europas, daher spielen die Einnahmen durch den Tourismus eine große Rolle. Wofür ich absolutes Verständnis habe, besonders für den wie überall be- nachteiligten Teil der Bevölkerung. Aber wenn man immer und überall am Ärmel gerissen und behelligt wird, kann einem die Geduld leicht vergehen. Ebenfalls bei der Warteschlange, um das Bauwerk von innen zu betrachten. Dazu wären 10€ Eintrittsgeld gekommen. Davon kann man viele Lebensmittel im örtlichen Supermarkt einkaufen! Wir verzichteten also dankend.

 

Nichts wie weg! Der angedachte weitere Bummel am Flussufer erwies sich als unmöglich. Restaurants hatten dort die Grund-stücke in bester Lage längst vereinnahmt. Also zurück zur mehr- spurigen Schnellstraße, die Lissabon z.B. mit den Badeorten Cascais und Estoril verbindet und entsprechend stark befahren ist.  Es war laut, stank nach Sprit und bot keinen schönen Anblick. Außer einer Tankstelle, die es zu umrunden galt und dem „Mo- mento aos Combaatentes do Ultramar“ zu Ehren der Gefallenen in den Kolonien gab es nichts zu sehen, außer badenden Möwen in der angelegten Wasserfläche unter dem Feuer. Dass nur der portugiesischen Opfer, keineswegs aber der unzähligen Opfer unter der Kolonialbevölkerung gedacht wird, vermerkte ich pas-  send zu meiner ohnehin angespannten Stimmung. Die sich auch nicht verbesserte, als eine Fortsetzung des Weges nicht möglich war, da der Fußweg endete, um den Fahrzeugen noch mehr Raum zu geben.

 

Also hieß es: zurück! Und wieder nach einem Tunnel oder einer Brücke zu suchen, um auf die andere Seite zu kommen. Was eine Weile in Anspruch nahm. Dort war es nicht anders als zuvor. Die oft wunderschönen alten Lissabonner Häuser werden zusammen- geschoben, um gesichtslosen Neubauten, die so überall auf der Welt stehen, Platz zu machen. Das, was wir als so typisch für ein bestimmtes Land empfinden, ist vielleicht für die Einwohner eine längst überkommene Vergangenheit, sie streben nach Zukunft und Moderne. Werden dann die Unterschiede zwischen den Menschen irgendwann auch keine Rolle mehr spielen, wenn es überall auf der Welt gleich aussieht? Sich die gleichen Einkaufs-ketten und Shoppingcenter finden? Werden sich „Inseln“ der Vergangenheit erhalten? Und Menschen, die nicht angepasst le- ben wollen?

 

Nach eben jenen war ich zunächst vergeblich auf der Suche, vor allem, als wir uns am Hieronymitenkloster entlang kämpften, in dem „Vasco da Gama“, der große Seefahrer begraben liegt. Busse, Busse, Busse. Asiaten, Franzosen, wieder Asiaten, Spanier, neue Asiaten, Niederländer und... Naja, ihr wisst schon! Ich floh re- gelrecht in das Halbdunkel und die Stille unseres Häuschens. Gott sei Dank, ich fühlte mich geborgen! Gern hätte ich mich über das Erlebte ausgetauscht, es aus mir heraus gelassen, ausdiskutiert, aber das war nicht möglich. So verkroch ich mich mit einem Becher Instantkaffee und dem Reiseführer auf dem Sofa. War es hier überall so schrecklich? Wo war es denn stiller? Was wäre weniger touristisch überlaufen und voller Hektik?

 

Etwas erholt und versöhnt machten wir uns auf, den nächstgele- genen „Supermercado“ zu suchen, denn wir hatten ja noch kei- nerlei Lebensmittel besorgt. Bewusst verschwand ich in kleine Seitenstraßen, auf der Suche nach „meiner“ Stadt. Der alten, nicht zu Tode modernisierten. Dem Lissabon, das ich so sehr anzutref- fen gehofft hatte. Wie schön sind diese typischen Häuser, ihre Türen, Balkons, Azulejos (Fliesenfassaden), die stillen Plätze, Brunnen, kleinen Kirchen.

 

                           

 

 

         

 

         

 

         

 

Auch ihre Menschen. Die stundenlang aus ihrem Fenster in die Ferne schauen können. Oder aus Autos aufs Wasser. Es scheint, als suchten sie mit ihren Blicken nach etwas in der Ferne. In einem gewissen Sinne verstehe ich sie. Irgendwie suche wohl auch ich nach etwas. Manchmal finde ich es. Oder besser: Begegnet es mir. Es sind jene Momente, oder besser „Augen-Blicke“, in denen ich ganz bei (oder in?) mir bin. Das Gefühl habe, an einem Ort wirk- lich angekommen zu sein. Bei einem Menschen. Auch bei Gott.

 

Es wird so sein. Aber erst viel später.

Als ich es überhaupt nicht (mehr) erwarte.