Die letzte Nacht war eine reine Katastrophe. Gefroren ohne Ende. Vielerlei Schmerzen.

Das heutige Angebot schon einen Tag eher ins Exil zu kommen, hab' ich angenommen.

Die Bilder an der Tür geradegerückt, Heizung aufgedreht, sehr lange sehr heiß geduscht.

Hat unbestreitbar Vorteile, diese Sache. Aber auch Schattenseiten. Nichts ist umsonst.

 

Nachher entfliehe ich kurz dem Gefängnis. Ans graue Meer, zwei Autostunden entfernt.

Hausbesichtigung. Ohne irgendeine Erwartung. Das Ding sieht aus wie fast alle hier.

Öder roter Backstein, Spitzdach. Ein Straßendorf. Aber das hat wenigstens einen Hafen.

Einen Deich. Viele Schafe, viel Wind. Und große vorbeifahrende "Pötte". Das mag ich!

 

Unschön, aber am Meer.

 

Es würde mir schwerfallen den Norden zu verlassen. Sehr sogar. Er ist ein Teil von mir.

Oder ich bin ein Teil von ihm. Wie man das sehen will. Die Menschen hier sind unverstellt.

Wie die Landschaft, in der sie leben. Friesen eben. Kargheit gewohnt. Anspruchslos.

Das ferne Puppenhaus ist niedlicher. Siegt am Ende der Verstand? Oder mal das Gefühl?

 

 

 

 

 

 

Du sagst:

Norden -

das sei doch dieser Ort

langweiliger Landschaft,

durchsetzt von hässlichen Städten

in ewigem Regen.

Nichtssagende Wiesen,

irgendwo im Nebel gelegen,

da sei das Bestreben vergebens,

sich nicht dem Nass zu ergeben,

da sei man stets von Kälte,

von Klämme und Stürmen umgeben.

 

Und ich sag dann:

Komm,

nimm deine Navigationsinstrumente!

Stell' deinen Blickwinkel neu ein.

Deine Kleider sollen fortan

aus Seemannsgarn sein.

Wirf deine Netzhäute aus,

um zwischen den Wellen

nach neuen Sichtweisen zu fischen.

Noch das Fernglas

in die richtige Einstellung bringen,

damit deine Augen

Lieder zu singen beginnen,

stechen wir in See-Schärfe,

um den Blick frei zu machen.

 

Denn was ich am Norden so mag,

ist schlicht das,

was du anklagst,

im and'ren Blickwinkel betrachtet.

Denn ich mag dieses Herbe,

das Graue, das salzige Raue,

das Wasser, den Nebel,

den prasselnden Regen,

die wogenden Meere,

die drohenden Gebärden des Wetters,

wenn Wolkenturmhöhen

den Himmel beschatten.

 

Mag das Gefühl,

mich von Sturmböen beuteln zu lassen.

Mag die Kühe und Deiche

mit Schafen aus Watte.

Mag die Dünen, das Weiche

der schlafenden Watten.

Mag die Weite der Felder

und den endlosen Blick,

wo der Himmel

nur eine Handbreit

über den wandernden Horizonten liegt.

 

Ich mag die Unwetterschlachten,

und auch,

wenn endlich

wieder der Himmel aufreißt.

Ja,

wir mögen Kontraste,

selbst uns're Kühe sind schwarz-weiß.

Wir haben Jollen und Kutter

und Ebbe und Flut.

Haben Schollen und Krabben

und Hafengeruch.

Und die Kräne und Möwen

in salziger Luft.

Am Ufer sitzen,

bis das Fernweh mich ruft.

 

Oh Heringsschwärme,

oh Wetterwende,

oh Meeresleuchten,

oh Septemberende,

oh Stürme,

die vor Tobsucht triefen

oh Friesennerz,

oh Gummistiefel!

Unser Wetter kommt mit Blaulicht,

und es wechselt geschwind',

nenn' du es ruhig launisch,

ich sag' es hat Temperament.

 

Und es zieht uns zum Wasser

wie eine Möwe

zum Fischbrötchen.

Hier heißt es "Butter bei die Fische",

und weil wir an Wetter gewöhnt sind,

heißt es "Ohren steif halten",

sollten die Stürme auch nahen,

in den düstersten Farben,

hier gibt es kein Klagen übers Wetter,

hier gibt's Windjammerparaden!

 

Wir haben

den größten Himmel

und die steifste Brise,

die dicksten Fische

und die weichsten Wiesen,

die spitzesten Muscheln

und die feuchtesten Watten,

wo Seehunde kuscheln

und sich Schafe

auf Deichen begatten.

 

Wer auch immer beschloss,

dieses Land zuzubereiten,

dieser Koch war so verliebt -

sogar die Luft ist versalzen.

Ja,

ich mag dieses Schroffe,

das Raue,

das Land und die Menschen,

das offene Blaue,

den Strand an den Grenzen

des nicht endenden Wassers.

 

Mag die Kühe und Deiche

mit Schafen aus Watte.

Mag die Dünen,

das Weiche

der schlafenden Watten.

Mag die Weite der Felder

und den endlosen Blick,

wo der Himmel

eine Handbreit

über dem wandernden Horizont liegt.

 

Und egal,

wie oft es mich auf Reisen

und in weit entfernt

gelegene Gegenden zieht,

eine steife Brise

trägt mein Herz stetig zurück.

Land zwischen den Meeren,

vor dem sich sogar die Bäume verneigen,

du bist der wahre Grund,

warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

 

(Text Mona Harry)