Es klingelt. Und ein Mann mit Blumen steht vor der Tür. Er möchte mir eine Freude machen. Und deshalb hat er auch superschöne Holzleisten mitgebracht, weil er gesehen hat, dass ich sie würde brauchen können. Überhaupt trägt ER allerhand bei sich. Lebensmittel für zwei Tage und das passende Geschirr dazu, das neue Holzbrett, dass er extra angefertigt hat, in halber Nacht in seiner Werkstattgarage. Wir laufen hinunter zum Delft, wo wie in jedem Jahr die Emder Hafenmeile aufgebaut ist. Gastschiff reiht sich an Gastschiff, die Rennen der mit 20 Mann besetzten großen Drachenboote laufen. Das Wetter hat sich gefangen, die Sonne leuchtet vom fast wolkenlos blauen Himmel.

Nun haben uns die ersten Nachbarn gesehen und können spekulieren, in welcher Beziehung wir wohl zuei- nander stehen. Sollen sie. Sie haben mich noch nie mit einem Mann gesehen, also ist es irgendwie mal an der Zeit, sollte man meinen. Wir fahren zur Knock, dem "Stadtstrand" der Seehafenstadt, der einige Kilo- meter weiter draußen an der Ems liegt. Viele genießen den schönen Tag, Kinder und Hunde toben herum, Biker rasten im Cafe, in dem wir Kaffee trinken. Und ich Käsekuchen esse. ER eisern nicht. Abnehmen ist angesagt... Danach bummeln wir auf dem Deich entlang, wo an der Hochwasserlinie ein vermutlich ertrun- kenes Schaf liegt, über das sich schon die großen Seemöwen hergemacht haben.

Leben kann ohne Tod nicht existieren, trotzdem schmerzt es mich... Lange war ich nicht mehr an diesem Ort, es ist wohl zwanzig Jahre her, dass ich so hinaus auf die Mündung zur Nordsee schaute. Ohne Auto war es mir nicht möglich. Aber nun ist vieles anders, Ausflugsplanung erwünscht und der Berlingo wird baldmöglichst wieder auf die Beine Räder gebracht werden. Bevor die seit Jahren einstürzende Hochterras- se abgerissen wird. Zu zweit ist vieles plötzlich gar nicht mehr schwierig. Das tut mir gut und nimmt mir so manche Last von der Seele.

Um's Abendessen brauche ich micht zu kümmern. Um überhaupt gar nichts eigentlich. Prinzessin eben. Wir belagern das Ecksofa im Wohnzimmer, schlemmen über Stunden vor uns hin. Kalorienarm natürlich. ER möchte fortsetzen, was so erfolgreich läuft und ich bin auf einem guten Wege. "Welchen Typ Frau magst Du eigentlich?" Möchte ich schon wissen. "Ein bischen mollig", antwortet ER, "wie Frauen sind." Klingt gut, da fällt er nicht um, von meinem "Winterspeck". Allerdings: Es war die falsche Antwort! Denn mollig möch- te ich ganz bestimmt nicht sei und Kleidergröße SE = Small Elephant wäre mein Alptraum. Obwohl ich Frauen mit rundlichen Formen kenne, die umwerfend schön sind. Ich wäre es aber nicht... 

Es wird schon wieder hell (4 Uhr), als wir endlich ins Bett umziehen. So ein ganz klein wenig ist mir das unheimlich. Jene Bedenken sind aber völlig überflüssig. Dass ist der Vorteil, wenn man offen miteinander redet. Eckpunkte abgesteckt, Grenzen klar sind. Obwohl Nähe stattfindet. Was nicht ausbleibt, in einem 140 cm breiten Bett, das ich nun mit einem Riesen teile, der schräg darin liegen muss. Was tut man nicht alles als Mann, wenn man eine Frau für sich gewinnen möchte... Denn, dass dies sein Endziel ist, kann man vor- sichtigen Andeutungen entnehmen. ER ist ganz bestimmt kein Prinz. Und noch weniger ein Süßholzraspler. Man Frau weiß mit ihm ganz genau wie man dran ist. Was mir sehr entgegenkommt. 

Wir können lange schlafen, niemand stört die Ruhe. Aus den Resten vom Vorabend wird das Frühstück, nur Kaffee kommt dazu. Den Rest des Tagen verquasseln wir. Schnell ist ein neuer Abend heraufgezogen. Wann er wohl los muss? Sein Tag fängt früh an. Selbständig = ständig selbst, so ist das. Und er hat auch noch über 30 km zu fahren. "Ich könnte noch eine Nacht bleiben?!" Warum nicht. Es gibt keinen Grund zur Unsicherheit. Wir kennen nun viele Kapitel unserer Leben. Und so manches ähnelt sich. Was bei mir der Balkon war, das war bei ihm der Keller. Es hat Schäden bei uns hinterlassen. Aber wir haben die Vergan- genheit nicht geleugnet. Und können offen darüber reden.

Ich sage ihm, dass ich ständig darauf warte, dass er sich als "Monster" entpuppt. Das erstaunt ihn. Aber er findet gut, dass ich es ausspreche. Überhaupt so ehrlich und direkt mit ihm bin. Er liebe mein Lachen sagt er. Es würde ihn fröhlich machen. Da ist aber auch ein Moment, da weine ich. In Erinnerung an traurige Zeiten und mit dem Gedanken daran, was alles nie sein wird. Mit ihm. Und anderen Menschen. ER tröstet mich sofort und ist auch traurig. Sagt, dass er das nur schwer ertragen kann, mich so zu sehen. Seltsam, er findet immer die richtigen Worte. Obwohl er nicht redegewandt ist. Sein Terrain ist das Handwerk und da zählen andere Fertigkeiten.

Im Bett rolle ich mich in seinem Arm ein, er deckt mich zu. "Hast Du nicht manchmal nachts Angst in dem großen Haus? Gerade jetzt, nach dem Einbruch?!" Ich nicke in der Dunkelheit, erzähle von meinem Schlaf-störungen und davon, dass ich oft erst gegen Morgen einschlafe, wenn es hell wird. Aber nun, in diesem Moment, da fühle ich mich sicher. Es kann überhaupt rein gar nichts passieren. "Ich werde Dich immer be- schützen" sagt er. Und ich bin mir absolut sicher, dass er das absolut ernst meint. Eine Antwort bleibe ich ihm allerdings schuldig.

 

Wie lange dauert "immer"? Was ist "Liebe?" Ständige Nähe ist mir unerträglich. Der Asperger verhindert das.

Aber ich mag IHN. Das ist doch auch etwas. Und mir wird alle Zeit der Welt gelassen.

ER küsst mich im Morgengrauen ganz vorsichtig, zieht sich leise an und dann die Haustür zu. 

In diesem Moment vermisse ich ihn. Aber auf seine spätere Mail antworte ich nicht. Wir haben keine Chance...