Am nächsten Morgen in aller Frühe beschritt ich meine nächste Wander-Etappe. Zwei Gefährten begleiteten mich, aber nach ein paar hundert 

Metern blieb ich stehen und sagte zu ihnen, sie sollten weitergehen, da ich etwas aus meinem Rucksack holen müsse. Wir umarmten uns, wünschten einander alles Gute und nahmen Abschied, ob für immer oder für fünf Minuten wussten wir nicht. Ich lehnte mich mit dem Rucksack gegen einen Felsblock, um meinen Rücken etwas zu entlasten und schaute ihnen nach.


Ich war traurig über die Trennung, allerdings auch erleichtert, als ich sie unter den Bäumen verschwinden sah. Ich hatte nichts aus dem Rucksack holen müssen. Ich hatte nur allein sein wollen. Alleinsein war für mich 

schon immer wie ein richtiger Ort gewesen, als wäre es kein Zustand, 

sondern ein Zimmer, in das ich mich zurückziehen und so sein konnte, 

wie ich wirklich war. Dieses Gefühl hatte sich durch das Alleinsein auf dem Weg verändert. Alleinsein war jetzt kein Zimmer mehr, sondern es war die ganze Welt und ich war allein auf ihr und bewohnte sie in einer Weise, 

wie ich es nie zuvor getan hatte. So ungebunden zu leben und nicht 

immer ein Dach über dem Kopf zu haben, das ließ sie mir zugleich größer und auch kleiner erscheinen.


Bis dahin hatte ich die Welt nie richtig begriffen, nicht mal wie weit 

ein Kilometer sein konnte - bis ich jeden Kilometer im Schrittempo wahrnahm. Und doch empfand ich auch das Gegenteil, empfand ich mittlerweile eine seltsame Verbundenheit mit dem Weg, eine Vertrautheit 

mit den Tälern und Bergen, den Flüssen und Ebenen, 

obwohl ich sie noch nie zuvor gesehen hatte...


Aus: "Der große Trip"
Cheryl Strayed






1.Jakobsweg, Mai 2007, letzte Region: Galicien