Es ist lange her. Mehr als vier Jahrzehnte. Eine kleine Ewigkeit.

Der erste Urlaub mit den Kindern. Allein.

In den Niederlanden, wo auch sonst.

Es war ein Regensommer, jener im Jahr 1980.

Die Ferienwohnung teuer, der herrliche Strand verwaist.

Wir froren in Shirts und Regenjacken, langweilten uns.


Mein (Ex-)Mann rief an: „Was macht ihr?“ Ich berichtete.

Vom Eis essen. Spielzeug kaufen. Malen mit Wachsmalstiften.

Vom fernsehen in englischer Sprache mit niederländischen Untertiteln.

Vom Kauf von Memorys, mit niederländischen Motiven.

Von langen, stillen Tagen mit laufender Heizung. Und Einsamkeit.

Er sagte sofort: „Unternimm etwas, geh' unter Menschen!“


Nach unserer Trennung waren wir beste Freunde geworden.

Und heute muss ich sagen, das war eine gute Umgangsbasis.

Am Morgen regnete es wieder Katzen und Hunde,

ich entschied ins „Bollenbad“, das örtliche Hallenbad, zu fahren.

Viel Geld für nichts, das Wasser war eisekalt.

Andere Kinder, um miteinander zu spielen, waren nicht da.


Ich war schon im Hof der Fewo, mit dem Schlüssel in der Hand,

da erscholl Lachen aus der rückwärtigen Tür des Billard-Cafés,

zu dem die Urlaubsquartiere gehörten und dachte an die Mahnung.

„Mögt ihr Kakao?“ „Jaaa!“ Also hinein in Wärme und Licht.

Es war ein gemütliches, typisch „braunes“ Lokal mit Poolbillard,

wie es so viele in Holland gibt. Und mollig warm war es auch.


Der Wirt brachte den heißen Kakao und extra Schokolade für die Kids.

Geschenk des Hauses für den Nachwuchs zermürbter Mütter.

 Zwei Billardtische wurden bespielt, am Tresen saßen nur Männer.

Meinen Dreijährigen hielt es nicht lange auf dem Stuhl.

„Mama, ich guck' nur mal,“ hörte ich noch, dann war er  weg.

Ab zum Tisch, auf dem die Kugeln so schön klackerten.


Mir blieb nur der Mahnruf: „Fass' nichts an!“ „Neieiein,“ kam zurück.

Der treuherzigen Aussage traute ich nicht und sah lieber genau hin.

Da fiel er mir auf. Der große, gebräunte Typ mit den dunklen Locken.

Zunächst schien er zu gewinnen, aber plötzlich nicht mehr.

Er schaute immer zu meinem Tisch, statt auf die Kugeln.

Was meinem Nachwuchs die Chance gab, sich eine zu schnappen.


Betont lässig setzte er sich wieder hin, mit ausgebeulter Jacke.

„Sascha, bring' das Teil sofort zurück, die Männer werden böse!“

Ach, wie leicht ist doch Erziehung zu torpedieren.

Das aus der Ferne gut aussehende Wesen trat lächelnd heran,

bat bescheiden um Rückgabe des Balles mit: „Ich kaufe dir einen!“

Und sah mich mit strahlend blauen Augen lächelnd an.


Das Spiel ging rasch verloren und wir saßen zu viert am Tisch.

„Ihr seid ja Deutsche, woher kommt ihr denn?“

Er ursprünglich aus der gleichen Stadt und lebte nun in Nordwijk.

Wir redeten. Einfach so. Über Gott und die Welt. Alles. Nichts.

Sahen uns an. Ich schaute auf seine rechte Hand und den Ring.

„Meine Frau ist seit Wochen in Spanien, ich hab' da eine Finca!“


Ein Strohwitwer also, was es nicht gerade besser machte.

Wir lachten, alberten, waren ernst. Er unterhielt die Kinder.

„Möchtest du morgen mit meinem Flugzeug fliegen?“

Ein Kleinkind ist schnell zu gewinnen. Die Siebenjährige aber auch.

„Ich hol' euch ab, um zehn Uhr, passt euch das?“ Ich war überstimmt.

Nur Minuten danach sprang die Tür auf, eine Frau stürmte herein.


Ich wusste sofort wer es war, instinktiv. Bezahlte und ging.

Wir spielten wieder Memory, ich brachte die Kinder zu Bett.

Und schaute irgendeinen albernen, untertitelten Film.

Ging früh zu Bett und konnte nicht einschlafen, wälzte mich herum.

Der Morgen zog grau heran, wie alle Tage zuvor.

Der Kleine verkündete es, mit einem prüfenden Blick in den Hof.


Und fügte an: „Der Mann steht da unten, der Hans von gestern!“

Das Thema Flugzeug hatte sich rasch erledigt. Wir segelten.

Auf den Kaager Seen. Und plötzlich schien die Sonne, warm und hell.

Ich hörte eine Geschichte. Entschied, mir nicht wehtun zu lassen.

Ohne zu ahnen, dass es dafür schon längst zu spät war.

Es wurde meine erste und für uns beide eine große, tiefe Liebe.


Die uns durch zwei Jahrzehnte (mit Pausen) trug.

Ich wollte meine Freiheit bewahren und er in einem Hafen ankern.

Das vertrug sich nicht. Er sich mit drei weiteren Ehefrauen auch nicht.

Ich wusste immer von ihnen, weinte um den geliebten Mann.

Sie ahnten nichts von mir. Verprassten sein Geld, betrogen ihn.

Er kehrte zu mir zurück. Und alles begann von vorn.


Es gibt aber Spiele, die man nicht unendlich fortführen kann.

Er übersah, dass ich erwachsen wurde. Reif und lebensklug.

Mein Mann, meine Mutter und meine Schwester starben (unnatürlich).

Ich wollte die Vergangenheit hinter mir lassen, neu anfangen.

Und zog in ein kleines Haus an Ostfrieslands Küste,

Johann begegnete mir, wir tanzten uns durch die Nächte.


Mit ihm wurde mir klar, wie jung ich eigentlich noch war. 

Ganze vierunddreißig.

Und hatte bereits viel mehr hinter mir, als nur für ein Leben.

Ich wechselte noch einmal. Nach Emden. Eine richtige Stadt.

Keine enge, spießige Nachbarschaft mehr. Lebendigkeit.

Trotz all' der Menschen, die ich nun beruflich in den Tod begleitete.

Und einem kleinen Wesen, dessen Leben ich nicht retten konnte.


Hans stand eines Tages wieder vor der Tür. Aber alles war anders.

Zu viele vergangene Jahre. Zu viele Tote. Zu viel ertragener Schmerz.

Da war ein Riss, der meinerseits nicht mehr zu kitten war.

Haben die Kids (nunmehr Teenager) es verstanden?

Sie liebten ihn wie einen Vater. Er war der Freund ihrer Kindheit.

Aber ich wollte nicht mehr. Schon gar nicht nach seinem Heiratsantrag.


Ich wäre sage und schreibe Ehefrau Nummer sechs geworden.

Und mir war klar, dass ich bald die Betrogene sein würde.

Nein danke. Es war genug. Ich beendete die Beziehung am Telefon.

Zwanzig Jahre mit Schlussstrich versehen, per Hörer.

Bereut habe ich es nie. Es war einfach vorbei. Trotzdem blieb etwas.

Jahre später fand ich einen Zettel im Briefkasten, mit Herz.


Und alle paar Jahre wieder etwas. Ein Klebe-Glitzerherz oder so etwas.

Dadurch wusste ich, dass er da war, an mich dachte. Die alte Liebe.

Auch ich denke manchmal an ihn. Aber nicht romantisierend.

Dafür ist zu viel geschehen. Das kann man nicht löschen.

Im Internet fand ich mal ein Firmenfoto. Er war alt geworden. Nun ja.

Inzwischen muss er längst gestorben sein. Dachte ich vorgestern.


Und suchte nach seiner Todesanzeige. Einfach als Bestätigung.

Aber ich fand keine. Ein Firmenchef stirbt doch nicht unbeachtet?

Ich wollte es einfach abschließen im Kopf, mit Sterbedatum.

Johann segelt nicht mehr, Hans fliegt nicht durch die Welt.

Was mich auf eine Idee brachte. Das Ergebnis war verblüffend:

Ein Foto von 2021! Eines ziemlich alt gewordenen Mannes.


Das Lächeln hat sich nicht verändert. Die Augen sind schmal.

Die Haare weiss und schütter geworden.

Er ist wieder einmal verheiratet (er kann nicht ohne).

Nummer sieben, oder gar acht, neun?

Hauptsache: Ich bin es nicht geworden!


Manches braucht Frau einfach nicht, trotz aller Liebe...








Es war einmal "unser" Lied, vor mehr als vierzig Jahren...