Ode an die Dinge (27.12.2017)...
Ende Mai 2007 kehrte ich vom ersten Jakobsweg heim.
Durchquerte den beschaulichen Nordheide - Ort.
Schritt all' die Treppen zur kleinen Dachwohnung hinauf.
Setzte den Rucksack gleich hinter der Tür ab.
Stellte die Wanderstiefel daneben. Legte die Jacke darauf.
Als käme ich in die Fremde und wolle gleich wieder gehen...
6 Wochen durch Spanien hatten meinen Blick verändert.
Auf mein Leben. Und die Dinge darin. Die zu vielen Dinge.
Ich nahm mir einen Müllbeutel und einen Hammer.
Zerschlug zuerst 6 Trinkbecher und dann anderes.
In den Tagen danach sortierte ich Kleidung aus. Extrem.
Es war der Beginn einer Erkenntnis: Weniger ist mehr...
Alles was brauchbar war schleppte ich zur Diakonie.
„So schöne Sachen!“ freuten sie sich. Immer wieder.
Mit jedem Sack fühlte ich mich freier, unbelasteter.
Das Buch: „Wer wandert braucht nur was er tragen kann“
(Anne Donath) spornte mich zusätzlich an, weg, weg, weg!
Dinge gingen aus meinem Leben, ein Mensch kam.
Und um seinetwillen ein zweiter Jakobsweg.
Nur wenige Wochen nach Beendigung des ersten.
Erkenntnis, dass sich mehr ändern müsse. Weitaus mehr!
Nach acht Jahren Verleugnung sah ich mein Haus wieder.
Stellte mich der Verzweiflung, dem Schmerz der Erinnerung.
Räumte die Wohnung. Kehrte in die Vergangenheit zurück.
Ein dritter Camino folgte. Wieder lernte ich dazu.
Und doch nicht, weil der Mensch seine Fehler wiederholt.
Immerhin sortierte ich unter Tränen meine Bücher aus.
Bis auf einhundert. Die Bekleidung auch. Das tat gut.
Anderes nicht. Mein vierter Jakobsweg brachte den Unfall.
Der irgendwie das Ende vom Anfang wurde. Bitter.
Die mir liebsten Menschen gingen aus meinem Leben.
Einer, der es mir nicht immer leicht macht(e), kam.
Wiederholung? Reset?
Mit ihm kamen viele Dinge, Bücher, Kleidung. Anderes.
„Müllhaufen und -ecken“ nannte ich sie bald frustriert.
Auch freundliche Menschen können zerstören. Ungewollt.
Nun bin ich so ziemlich am Ende von allem angelangt.
Meiner Gesundheit, des Geldes, des Platzes und der Geduld.
Es hilft nur ein radikaler Befreiungsschlag. Von allem.
Ich packe also. Sortiere. Wenn der Körper es erlaubt.
Ordne in meinem Kopf. Verabschiede mich. Lasse los.
Suche nach einem Hort. Für das, was übrigbleibt.
Dinge sind immer auch biografische Objekte.
Mit ihnen verbinden sich Geschichten, die uns helfen,
zu verstehen wer wir sind und warum wir so sind.
In der Studie „Geliebte Dinge“ geht es um die Frage,
ob ein Zusammenhang besteht, zwischen materiellem Wert
eines Objektes und der emotionalen Bindung.
Autor und Psychologe Tilmann Habermas schreibt dazu:
„Es zeigte sich, dass die wertvolle Dinge für Menschen
gar keinen hohen Wert haben, wie man es erwarten würde.
Viel häufiger sind es biografische Objekte. Es sind deren
Geschichten, die uns zu unserer eigene Geschichte bringen.
Sie geben Halt, sind die Brücke vom Gestern zum Heute.“
Dinge sind stumm, wenn wir sie nicht verstehen.
Wer aber hören kann, dem geben sie bereitwillig Auskunft.
Sie können Sprecher sein für uns, wenn wir sprachlos sind.
Sie sagen viel über uns aus, ohne, dass wir selbst es tun.
Menschen sehen und fühlen etwas hinein. Das zählt.
Jeder hat für ihn wichtige Dinge, an denen sein Herz hängt.
Wer hat hat es je schöner ausgedrückt, als Pablo Neruda?
Die Ode an die Dinge
Ich liebe die Dinge über alles,
alles.
Ich mag die Zangen,
die Scheren,
ich schwärme
für Tassen,
Serviettenringe,
Suppenschüsseln -
vom Hut
ganz zu schweigen.
Ich liebe
alle Dinge,
nicht nur
die höherstehenden,
sondern
auch
die unendlich
kleinen,
den Fingerhut,
Sporen,
Teller,
Vasen.
Bei meiner Seele,
ist der Planet
schön,
voller Pfeifen,
die von Händen
durch den Rauch
geführt werden,
voller Schlüssel,
voller Salzfässer.
Voll von
allem,
was von Menschenhand erschaffen,
allen Dingen:
die Rundungen am Schuh,
den Geweben,
der zweiten
diesmal unblutigen
Geburt des Goldes,
den Brillen,
den Nägeln,
den Besen,
den Uhren, den Kompassen,
dem Kleingeld,
der weichen
Weichheit der Stühle.
Ah, soviel
reine
Dinge
hat der Mensch
entworfen,
aus Wolle,
aus Holz,
aus Glas,
aus Stricken -
Tische, wunderbare Tische,
Schiffe, Leitern.
Ich liebe
alle
Dinge,
nicht weil sie
brennen
oder
duften,
sondern
ich weiß nicht warum,
weil
dieser Ozean dir gehört,
mit gehört:
Die Knöpfe,
die Räder,
die kleinen
vergessenen
Schätze,
die Fächer,
in deren Federn
die Liebe ihre
Orangenblüten
wehte,
Gläser, Messer,
Scheren -
auf allem
am Griff, am Rand,
eine Fingerspur,
die Spur einer entrückten,
ins vergessenste Vergessen
versunkenen Hand.
Ich gehe durch die Häuser,
Straßen,
Fahrstühle
und berühre dabei Dinge,
erkenne Gegenstände,
die ich insgeheim begehre:
mal weil sie läuten,
mal weil sie
so weich sind
wie die Weichheit einer Hüfte,
dann wieder, weil sie wie tiefes Wasser
gefärbt oder dick wie Samt sind.
O unumkehrbarer
Strom
der Dinge,
keiner kann sagen,
ich hätte nur
die Fische
geliebt
oder die Gewächse des Urwalds und der Wiesen,
ich hätte
nur geliebt,
was hüpft, klettert, überlebt und seufzt.
Falsch:
Mir sagten viele Dinge
vieles.
Nicht nur sie rührten mich
oder meine Hand rührte sie an,
sondern so dicht
liefen sie
neben meinem Dasein her,
dass sie mit mir da waren
und so sehr da für mich waren,
dass sie ein halbes Leben mit mir lebten
und dereinst
auch einen halben Tod
mit mir sterben...
(aus: Pablo Neruda, „Seefahrt und Rückkehr“)