Es lag alles schon in der Luft. Ich ahnte es, ohne es zu wissen.

Aber wie es dann kam, das hätte ich doch nicht für möglich gehalten.


Ein stiller Tag war er, der 23.Dezember.

Also nicht anders, als tausende Tage zuvor.

In diesem Dorf, in diesem Haus, mit diesem Mann.


Dieses Schweigen - ich konnte es wohl einfach nicht mehr ertragen.

Es war wie eine schwere, schwarze Decke, die man mir übergeworfen hatte.

So lange schon, so viele Jahre lang und ich (er)trug sie nur noch mit Mühe.

Immer lief der Fernseher. Um etwas zu hören. Und zu sehen.

Eine bunte Scheinwelt, die nichts, rein gar nichts mit mir/uns zu tun hatte.

Aber sie übertönte die Stille, sprach an unserer Stelle.


Wo ich nicht mehr wusste, was ich hätte sagen können.

Worüber reden. Mit einem wortlosen Mann in einem ehernen Panzer.


Deutschland ertrinkt im Hochwasser.

Das Haus hier im Dorf liegt in der Nähe der Ems. An überfluteten Feldern.

Gegen Mitternacht dringt das Wasser in den Keller ein.

Ich benutze eine Kehrschaufel. Dann einen Schal. Die Pumpe fällt aus.

Kein Wort. Kein Austausch. Kein: "Wir kriegen das gemeinsam hin!"


Gegen drei Uhr haben wir es ziemlich geschafft. Pause.

Er sitzt am Esstisch. Ich (seit Wochen krank) falle erschöpft auf's Sofa.

Stillschweigen. Totenstille. In mir ist so unendlich viel an Leid.

Und Schmerz. Aufgestaut in mehr als neun Jahren.

Ich ertrage es nicht mehr. 

Was? Alles!


Das schreckliche, öde Dorf. Das gruselige Siedlungshaus. 

Den Mann, mit dem man nur über Modellbau reden kann.

Fenster. Türen. Rolladen. Fliegengitter.

Der den ganzen Tag über auf dem Smartphone düddelt und schreibt.

Schweigend wie ein Grab. Als gälte es große Geheimnisse zu bewahren.

Aber es gibt keine. Nur Leere. Und Wortlosigkeit.


Die Zeiger der Uhr ticken vor sich hin, wie seit Jahren.

Ich kann einfach nicht mehr. Noch Minuten bis Heiligabend.

Und wieder geht es nur um ihn. Sein Haus. Seinen Keller.

In meinem Heim war ich seit Monaten nicht.

Wie sieht es dort aus? Ich habe ein Souterrain. Dachrinnen voller Herbstblätter.

Einen vermutlich überquellenden Briefkasten. Und kein Auto um hinzufahren.


Irgendetwas sage ich. Belangloses. Aber dann bricht es aus mir heraus.

Alles, was ich in so vielen Jahren unterdrücken musste.

Alles, was mich krank gemacht hat. Müde und hoffnungslos.

Nun ist es heraus. 

Hat er es verstanden? Mir überhaupt zugehört?

Ich bezweifle es!


Wir pumpen und wischen erneut. 

Es ist nicht mein Haus! Es ist nicht mein Zuhause. Nicht mein Tisch.

Nicht mein Sofa, nicht mein Fernseher. Es ist überhaupt nicht meine Welt!

Ich bin hier geduldet. Wie eine zugelaufene Katze.

Hört ER mir zu? Er gähnt. Gelangweilt.

Was diese Frau nur immer will?! Reden?! So ein Quatsch!


Als ich sage, dass es so nicht weitergeht, wacht er kurz auf.

Um sich danach ins Bett zu verabschieden. Ziemlich wortlos.

Da ist es sechs Uhr am Morgen!

Hoffentlich hält die Pumpe durch, hört der Regen auf. Blabla.


Ich verschwinde um sieben Uhr ins kleine, kalte Zimmer unterm Dach.

Es ist überhaupt überall kalt hier. Passt irgendwie.


Mir bleibt nur zu gehen. Wohin? 

Vielleicht ist das gar nicht wichtig?!



Heiligabend 2023. 

Kein Baum, kein Kranz. Nichts.

Nur meine Kerzen in meinen Weihnachts-Holzhäusern.



Das dritte schreckliche Weihnachtsfest meines Lebens.

Es wird mir in Erinnerung bleiben, wie die beiden anderen.

Und muss sich nicht wiederholen!!!



Ich hoffe sehr, dass ich sie wiederfinde.

Die Frau, die ich einmal war. Bevor sich 2015 alles änderte...